August 2024

Nicht mehr ganz August, aber noch fast: Ein Beitrag dazu, warum wir das hier eigentlich alles machen und warum das auch etwas mit Utopien und Veränderung zu tun hat – und nicht nur mit viel Arbeit, Zahlen, Excel-Tabellen und Plenum. Kurz:

Warum in einem Hausprojekt leben?

Das Leben in einer Hausgemeinschaft erscheint auf den ersten Blick verlockend romantisch: Gemeinschaft, Selbstverwaltung, lustige Spieleabende, gemeinsames Kochen, Essen und alles ist dekoriert mit bunten Fähnchen aus dem Eine-Welt-Laden um die Ecke. Doch schnell offenbart sich hinter der Großstadt-Hippie-Fassade ein anstrengender Alltag: soziale Konflikte, endlose Plena, persönliche Egoismen und – nicht zu vergessen – der Zustand der verdammten Küche! Die romantische Vorstellung einer liebevollen Gemeinschaft zerbricht oft an der harten Realität, dass gemeinsames Leben Zeit, Geduld und soziale Auseinandersetzung erfordert. Das kann anstrengend sein, aber gehen wir erst einmal die Sache nüchtern an.

Betrachtet man das Konzept eines Hausprojekts im Miethaussyndikat rational, zeigt sich dessen Potenzial als Versuch, viele aktuelle gesellschaftliche Probleme neu anzugehen: mangelnder Wohnraum in Großstädten, unsichere Finanzierungen und zunehmende Vereinsamung von Menschen. Auch das Bauwesen, das sich immer noch auf Eigenheime für Kleinfamilien und kleine Mieteinheiten konzentriert, bietet keine Lösung für leerstehende Gebäude, die oft von gewinnorientierten Wohnungsgesellschaften saniert und zu hohen Mieten weiter vermietet werden.

Doch was ist das Miethaussyndikat und was macht es genau?

Das Miethaussyndikat ist ein Netzwerk selbstverwalteter Hausprojekte und gemeinschaftlich genutzter Immobilien in Deutschland. Seit den 1990er Jahren verfolgt es das Ziel, langfristig bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und zu erhalten, der sich den Spekulations- und Marktmechanismen entzieht. Das Grundprinzip des Syndikats besteht darin, dass die Häuser nicht im individuellen Eigentum der Bewohner*innen, sondern im geteilten Kollektiveigentum des Hausverein und des Syndikatsverbundes verbleiben. Die Immobilie wird von einer GmbH gekauft und verwaltet. Die Gesellschafter*innen der GmbH sind – zu nahezu gleichen Teilen – der jeweilige Hausverein und der Zusammenschluss der anderen Syndikatsprojekte. Diese Form des Eigentums ohne Eigentum ermöglicht eine langfristige Planung und die Sicherung von langfristig bezahlbaren Mieten, denn: Menschen, die Wohnraum nicht als Anlage- und Spekulationsobjekt nutzen, sanieren wenn es notwendig ist, nicht, weil es gerade gefördert wird oder weil neue reiche Leute in die Immobilie einziehen sollen.

Dieses Modell bringt eine Reihe von Vorteilen mit sich, die den aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen entgegenwirken:

  • Langfristig bezahlbarer Wohnraum: Durch den gemeinschaftlichen Besitz und die Verwaltung der Immobilien wird spekulativer Verkauf verhindert, was stabile und bezahlbare Mieten sicherstellt.
  • Gemeinschaftliche Selbstverwaltung: Bewohner*innen verwalten ihre Häuser basisdemokratisch, was zu einer stärkeren Gemeinschaftsbindung und Mitbestimmung führt.
  • Entzug von Immobilien aus dem Markt: Durch das Syndikat werden Immobilien dem spekulativ-überfinanzierten Immobilienmarkt entzogen und in Kollektiveigentum überführt.
  • Schutz vor Gentrifizierung: Da die Immobilien nicht verkauft werden können, trägt das Modell zur Erhaltung bestehender sozialer Strukturen bei und schützt vor Verdrängung durch steigende Mieten.
  • Solidarität und Unterstützung: Das Netzwerk bietet Unterstützung bei der Projektgründung und -verwaltung, teilt Wissen und Ressourcen und fördert den Austausch zwischen den Projekten.
  • Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung: Das Modell fördert den sozialen Wohnungsbau und nachhaltige Lebensweisen durch gemeinschaftliches Wohnen und Wirtschaften.
  • Ermöglichung alternativer Lebensmodelle: Durch das kollektive Eigentum und die Selbstverwaltung können alternative und experimentelle Wohn- und Lebensformen realisiert werden, die sich von konventionellen Miet- und Wohnmodellen unterscheiden.
  • Finanzielle Unabhängigkeit: Durch die gemeinschaftliche Finanzierung durch Direktkredite und die (kostengünstigere) Selbstverwaltung wird eine größere finanzielle Unabhängigkeit von Banken erreicht.

Soweit genial aber: Natürlich klingt das alles immer noch viel zu utopisch, als könnte eine einzige Idee alle diese Probleme lösen. Nein, das soll es auch nicht bedeuten. Vielmehr setzt es einen neuen Impuls, dass Zusammenleben auch anders funktionieren kann – vielleicht nicht immer einfacher, aber definitiv nachhaltiger und solidarischer.

Aber… ist Wohngemeinschaft nicht immer noch anstrengend?

Ja, das Leben in einer Gemeinschaft, die nicht durch genetische Verwandtschaft oder romantische Bindungen zusammengeführt wurde, kann oft anstrengend sein, natürlich. Aber man lebt als Individuum auch nicht losgelöst von der Gemeinschaft und wenn wir ganz ehrlich sind: Konflikte gibt es in jeder Wohnform. Man muss sich mit den Gefühlen und Bedürfnissen anderer Menschen auseinandersetzen und das kann sehr viel abverlangen, da man sich selbst oft als Maß der Vernunft sieht. Doch entscheidend ist es, die anderen kennenzulernen, sich mit den Menschen in der Umgebung auseinanderzusetzen und zu verstehen, warum sie handeln, wie sie handeln.

Gemeinschaftliches Leben fordert eine Bereitschaft zur Reflexion und Empathie. Es geht darum, sich aus der eigenen Komfortzone zu bewegen und die Perspektiven und Erfahrungen der Anderen ernst zu nehmen. Nur so kann ein echtes Verständnis entstehen, das über oberflächliche Toleranz hinausgeht und eine tiefere, authentische Verbindung ermöglicht. Das bedeutet, dass man lernen muss, Kompromisse zu schließen, Konflikte konstruktiv zu lösen und gemeinsame Werte und Ziele zu entwickeln. Ganz nach dem Credo: nicht nur meine Bedürfnisse sind wichtig, auch die der Anderen. Man könnte fast meinen so sei es mit allen menschlichen Verbindungen.

Dieses Zusammenleben kann eine große Bereicherung sein. Es fördert die eignenen sozialen Kompetenzen, stärkt die Gemeinschaft und schafft einen Raum, in dem unterschiedliche Lebensmodelle und Ideen Platz haben. Indem man sich auf das gemeinschaftliche Leben einlässt, öffnet man sich für neue Erfahrungen und wächst als Individuum und als Teil eines Kollektivs.

Aber, ja, es ist anstrengend, nervig und verlangt viel Geduld und Engagement, doch die Belohnung ist eine sich verstehende, vielfältige und unterstützende Gemeinschaft, die den Herausforderungen unserer Zeit gemeinsam begegnen kann. Wer weiß, vielleicht bietet gerade diese Erfahrung den Nährboden für neue, innovative Wege, um zukünftigen gesellschaftliche Herausforderungen zu begegnen.